Zum Wiederaufbau des Internationalismus und der Antikriegskampagnen
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Einleitung
Die Invasion Israels im Iran hat einen weiteren Krieg im Nahen Osten entfacht – damit wird es noch schwieriger, die katastrophale Lage in der Region zu beschreiben. Inmitten der unbeschreiblichen Wut und Angst, die uns erfasst, stellt sich die Frage, wie in einem polarisierten und chaotischen Umfeld, das von allgemeiner Angst, emotionalen Ausbrüchen, nationalistischen Gefühlen und der Propaganda von Staaten, Mainstream-Medien und reaktionären Kräften geprägt ist, etwas Sinnvolles vermittelt werden kann.
Bevor wir beginnen, möchten wir deshalb zuerst klären, an wen sich unser Text richtet. Unsere primäre Zielgruppe sind linke und progressive Kräfte, die für ein Ende des Leidens der unterdrückten und ausgebeuteten Bevölkerungen im Nahen Osten kämpfen. Angesichts der Tatsache, dass unsere direkten sozialen und politischen Verbindungen mit diesen Massen unterbrochen wurden, erwarten wir nicht, dass dieser Text die Mehrzahl der Unterdrückten direkt erreicht oder von ihnen gelesen wird – zumal dieser Krieg ihren Kampf für Freiheit und soziale Gerechtigkeit behindert und ihr Leid und Elend noch verstärkt. Zum anderen richtet sich dieser Text an alle freiheitlichen Menschen, die in den letzten Jahrzehnten mit Wut, Hilflosigkeit oder zumindest Unglauben die Beteiligung und Komplizenschaft ihrer eigenen Staaten an zahlreichen Kriegen beobachtet haben. Wie z.B. die bedingungslose Unterstützung westlicher Regierungen für Israels 20-monatiges Massaker, die Zerstörung und den Genozid in Gaza.
Was ist der Zweck dieses Textes? Unser unmittelbares Ziel ist es, eine politische Haltung zu stärken, die den Kampf gegen Kriegstreiberei und das „globale Kriegsregime” als integralen Bestandteil des Aufbaus eines internationalistischen Widerstands gegen die aufkommende Welle des globalen Neofaschismus erkennt. Denn unserer Ansicht nach beschränkt sich der Aufstieg des Neofaschismus nicht auf das Aufkommen rechtsextremer Regierungen, Parteien und Bewegungen. Dieser Aufstieg ist vielmehr grundlegend verbunden mit der Ausbreitung von Mechanismen, die – als Reaktion auf die Eskalation der allgegenwärtigen und vielschichtigen Krisen des zeitgenössischen Kapitalismus – die Entmenschlichung bestimmter Menschengruppen nicht nur systematisch fördern, sondern diese Prozesse auch normalisieren. Der seit 20 Monaten andauernde Krieg und Genozid Israels in Gaza, der sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, ist ein klarer Beweis für diese neue Welle des Neofaschismus. Eine Welle, die sich aufgrund ihrer expansiven Logik nicht auf einen bestimmten geographischen oder politischen Raum beschränkt.
Dieser Text soll daher den Stimmen und Ansätzen Gehör verschaffen, die sich entschieden gegen diesen globalen Trend stellen und eine aktive, kollektive Widerstandskraft schaffen. Dieser Widerstand von unten setzt keine Hoffnungen in Staaten, in ihre Politik۱ oder in zwischenstaatliche Institutionen (die sogenannte „globale Gemeinschaft”). Er lehnt die imperialistischen und staatszentrierten Beziehungen, die diese globale Hölle erschaffen haben und am Leben halten, um die giftigen Wurzeln des Kapitals zu nähren, vielmehr grundsätzlich ab.
Dieser Text verurteilt nicht nur Israels Kriegstreiberei und formuliert nicht nur dringende Forderungen – viele Genoss*innen haben bereits wertvolle Erklärungen abgegeben und wichtige Forderungen gestellt. Stattdessen wollen wir auf einen Mangel hinweisen, der aus unserer Sicht verhindert, dass glaubwürdige Erklärungen und progressive Aktionen wirksame Unterstützung finden. Dieser historische Mangel zeigt sich unserer Ansicht nach insbesondere in der Unorganisiertheit der Linken im Nahen Osten und im allgemeinen Fehlen revolutionärer und internationalistischer Strategien (in organisierter Form). Den Krieg zu verurteilen, dringende Forderungen aufzustellen oder zu mobilisieren, um weltweite Aufmerksamkeit zu erregen, sind zwar Mindestmaßnahmen, um Konflikten wie dem Gaza-Krieg oder der Invasion des Iran zu begegnen, aber sie reichen offensichtlich nicht aus.
Die gescheiterte Reaktion auf die Katastrophe in Gaza zeigt, dass es anderer kollektiver Strukturen und Widerstandsstrategien bedarf. Daher ist die Kernidee, für die wir eintreten – und die die Welt auf ihrem Weg in den Niedergang wirklich braucht –, die Stärkung eines umfassenden antikapitalistischen Internationalismus durch transnationale Zusammenarbeit gegen Krieg und das „globale Kriegsregime”. Als Kollektiv von Exil-Linken aus dem Nahen Osten (insbesondere aus dem Iran) möchten wir unser Verständnis über die Grundlagen und Auswirkungen der jüngsten Kriegstreiberei Israels mit Genoss*innen im Nahen Osten und Freund*innen in anderen Teilen der Welt teilen. Wir wollen verdeutlichen, warum ohne die Etablierung eines solchen alternativen Internationalismus alle dazu verdammt sind, passiv zuzusehen, wie der Kapitalismus sich selbst zerstört und das Leid und die Zerstörung im Nahen Osten wie auf der ganzen Welt zunehmen.
Dieser Text skizziert die Umstände und Auswirkungen der aktuellen schrecklichen Lage und setzt sich insbesondere kritisch mit der Strategie eines Teils der radikalen linken Kräfte im Nahen Osten und darüber hinaus auseinander. Diese im folgenden kritisierte Strategie fokussiert ausschließlich auf die militaristische und unmenschliche Politik der zionistischen (israelischen) Regierung und trennt diese von anderen regionalen Katastrophen. Aus unserer Sicht behindert eine solche Auffassung die Ausweitung der internationalistischen Solidarität mit den Kämpfen der Bevölkerungen des Nahen Ostens. Der von uns hier kritisierte Ansatz hat seit Beginn des Gaza-Krieges einen hegemonialen Einfluss auf den internationalistischen linken Diskurs und die Herangehensweisen innerhalb der Palästina-Solidaritätsbewegung. Durch die Invasion Israels in den Iran (gefolgt von der US-Invasion) und deren katastrophalen Folgen für den Nahen Osten ist dieser Ansatz noch prominenter geworden۲ . Im Gegensatz zu solch einem Ansatz will dieser Text sowohl die Notwendigkeit als auch die Machbarkeit einer internationalistischen Strategie aufzeigen, die sich auf den „dritten Weg“ konzentriert [۱].
I. Motive für Israels Kriegstreiberei und Irans Bellizismus
Allgemein betrachtet funktionieren die Staaten Israel und Iran in ihrer gesamten Geschichte auf der Grundlage unmenschlicher Prinzipien und Politiken. Für beide dient die Existenz eines objektiven äußeren Feindes sowohl als bequemes Mittel, um die eigene aggressive Politik zu rechtfertigen, als auch als Vorwand, um den Widerstand der Bevölkerung und sozialer Bewegungen zu unterdrücken. Durch die anhaltende Konfrontation mit solchen äußeren Feinden fördern sie ihre strategische Agenda, sie rechtfertigen und perpetuieren einen unbefristeten „Ausnahmezustand”. Seit über vier Jahrzehnten spielen die beiden Regime diese für beide Seiten vorteilhafte Rolle. In bestimmten Phasen eskalieren die militärischen Drohungen und entwickeln sich zu schweren Spannungen oder sogar zu direkten militärischen Konflikten. Die mit diesen episodischen Kriegen verbundenen Risiken und Folgen – oder die Gefahr solcher Kriege – bestätigen in den Augen der öffentlichen Meinung wiederum die Notwendigkeit derselben „feindzentrierten” Staatsstrategien. Indem sie Angst und nationalistische Emotionen schüren, ebnen sie den Weg dafür, dieselben Strategien weiter anzuwenden und sichern dadurch ihre eigene Reproduktion.
Während die jüngste militärische Invasion Israels im Iran von den israelischen Machthabern und ihren internationalen Verbündeten mit der vermeintlich objektiven Gefahr der „nuklearen Fähigkeiten” des Iran für die Existenz Israels gerechtfertigt wurde, hat die Islamische Republik Iran (im Folgenden IR) diesen Militärschlag ihrerseits als klaren Beweis für ihr Recht interpretiert, an der Aufrechterhaltung und Ausweitung ihrer Nuklear- und Raketenstrategie festzuhalten. Jedes Regime versucht, durch Drohungen oder Aggressionen gegenüber dem anderen, eine fragmentierte und verzerrte Darstellung seiner eigenen Geschichte und seiner allgemeinen Ausrichtung zu legitimieren. Je schrecklicher die Drohung oder Invasion der einen Seite, desto größer ist die Chance für das jeweils andere Regime, Legitimität zu erlangen und die eigene Anhängerschaft zu vergrößern. Mit ihren jeweiligen Bemühungen, ihre Machtgrundlagen zu reproduzieren und spezifische regionale Interessen zu verfolgen, sind beide Regime ein integraler Bestandteil der Mechanismen, die ein „globales Kriegsregime” vorantreiben. Dieses globale Kriegsregime ist selbst aus den anhaltenden multilateralen Krisen des zeitgenössischen Kapitalismus hervorgegangen. Es fungiert als Antwort auf krisenbedingte Bedrohungen der Kapitalakkumulation – wie zunehmender Massenwiderstand und begrenzter Zugang zu Ressourcen und Märkten –, ist aber gleichzeitig auch ein Produkt der verschärften Rivalität zwischen den aktuellen imperialistischen Blöcken und heizt diese Rivalität weiter an.
Aus einer spezifischeren Perspektive betrachtet, haben sowohl das israelische als auch das iranische Regime in den letzten Jahren turbulente und fragile Phasen durchlaufen.
a) Die Entwicklungen in Israel und Motive für die Invasion
Was Israel betrifft, so gelang es der israelischen Regierung innerhalb der ersten 18 Monate nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober, ihre Kriegsverbrechen und ihren zionistischen Expansionismus in Gaza unter dem Banner des „Rechts auf Selbstverteidigung“ gegen die „objektive Bedrohung durch den Terrorismus der Hamas“ durchzuführen. Während dieser Zeit genoss die israelische Regierung uneingeschränkte Unterstützung durch die Weltmächte, insbesondere der USA und ihrer NATO-Verbündeten. Unterdessen blieb der Großteil der Menschen weltweit relativ passiv und beobachtete den staatlich gelenkten Prozess des Genozids und der ethnischen Säuberung ebenso wie die Kriminalisierung und Unterdrückung der Solidaritätsbewegung in und durch dieselben unterstützenden Staaten. Innerhalb Israels selbst hat der „Segen des Krieges“, angeheizt durch die staatliche Propaganda der „Gefahr durch die Palästinenser“, trotz der Unbeliebtheit Netanjahus die öffentliche Meinung einigermaßen geeint.
Als jedoch das grundlegende Desinteresse der Regierung Netanjahus an einem Waffenstillstand sowie die menschlichen Opfer dieses ungleichen Krieges und insbesondere der offene Einsatz von Hunger als Kriegswaffe ab Mitte März 2025 immer offensichtlicher wurden, kam es zu einer deutlichen Verschiebung der weltweiten öffentlichen Meinung. Dies erschwerte eine bedingungslose Unterstützung für Israels „Verteidigungsoperationen“. Der katastrophale Krieg, den Israel unter dem Motto des „Rechts auf Selbstverteidigung“ führte, verlor plötzlich einen Großteil seiner internationalen Legitimität. Innerhalb der jüdischen Gemeinden weltweit wurden die Gegenstimmen lauter und selbst in Israel verstärkten sich der Widerstand und die Proteste gegen die Kriegsstrategie der Regierung (auch wenn statistische Erhebungen zeigen, dass ein erheblicher Teil der Opposition gegen die Fortsetzung des Krieges nicht aus Sympathie für die Palästinenser*innen entstanden war, sondern auf die Befreiung der Geiseln abzielte). Unter diesen veränderten Umständen konnte die rechtsextreme Regierung Israels die einmalige Gelegenheit die sich ihr durch den katastrophalen Angriff der Hamas geboten hatte, nicht mehr weiter nutzen, um ihr Ziel – die endgültige Entvölkerung und Annexion des Gazastreifens – voranzutreiben.
In dieser kritischen Situation haben drei Faktoren Israel den Vorwand und die Gelegenheit verschafft, aus dieser Sackgasse zu entkommen: erstens die Weigerung der IR, seine nuklearen Ambitionen einzuschränken [۲]; zweitens die Erklärung der IR, sensible Dokumente über Israels Nuklearanlagen erworben zu haben; und drittens die Verabschiedung einer Resolution des Gouverneursrats der IAEO (Internationale Atomenergie-Organisation), in der die IR wegen Nichteinhaltung ihrer Verpflichtungen verurteilt wurde. Die verzweifelte und opportunistische israelische Regierung begrüßte diese Situation, um einen neuen Krieg zu beginnen und die sogenannten Bedrohungen effektiv in Chancen für ihr Vorankommen zu verwandeln. Es sei darauf hingewiesen, dass spätere Berichte aus israelischen Militärkreisen deutlich machen, dass die militärische Invasion des Iran schon lange auf der Agenda Israels stand und einige Vorbereitungen für diesen Schritt – sogar innerhalb des Irans – bereits getroffen worden waren.
Die Gründe für das Interesse Israels an einer Schwächung des iranischen Militärs und einer De-Stabilisierung der sozio-politischen Lage in dem Gebiet sind: 1) seine Hegemonie in der zukünftigen Situation im Nahen Osten zu etablieren; 2) territoriale Expansionsmöglichkeiten als ein Kernbestandteil der zionistischen Strategie zu schaffen; und 3) den politisch-militärischen Apparat als Garanten des Sieges über einen „langjährigen und gefährlichen Feind” zu festigen. Die einzige noch offene Frage war der Zeitpunkt einer möglichen Invasion. Dieser schien nach dem Krieg Israels im Gazastreifen, der Schwächung der Hisbollah im Libanon und dem Regimewechsel in Syrien (zum Nachteil des Iran) gekommen zu sein. In diesem Sinne war die militärische Aggression Israels gegen den Iran, was die Absichten seiner Machthaber betrifft, Teil eines bewussten Plans der israelischen Regierung, der mit haltlosen Anschuldigungen gerechtfertigt und verschleiert wurde. Diese Anschuldigungen hätten ohne die unverantwortliche, rücksichtslose und unmenschliche Politik der IR im Nahen Osten und ohne die bedingungslose Unterstützung Israels durch die Weltmächte keine internationale Resonanz finden können.
b) Die zugrundeliegenden Entwicklungen im Iran in Bezug auf den aktuellen Krieg
Was den Iran betrifft, so stand die Islamische Republik während der breiten Aufständen von 2022 bis 2023 infolge der Ermordung von Jina Mahsa Amini kurz vor dem Zusammenbruch. Von einigen Überbleibseln dieser Unruhen hat sie sich trotz der blutigen Unterdrückung der Aufstände noch nicht. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Anhäufung innerer und äußerer Krisen den Iran zunehmend in die Abhängigkeit von Militarismus, Nuklear- und Raketenpolitik und einem aggressiven geostrategischen Ansatz im Rahmen der „Geopolitisierung des Schiismus” getrieben. In jüngster Zeit wurde dieser Prozess durch drei wesentliche Entwicklungen beeinflusst:
۱. Durch die regionalen Folgen des Gaza-Krieges wurden die geostrategischen Pläne des Iran in der Region, bekannt als die „Achse des Widerstands“, erheblich geschwächt. Dies geschah, obwohl die offensichtlichen Verbrechen Israels und seine internationale Immunität während dieses Krieges, die propagandistische Legitimität der langjährigen Narrative der Islamischen Republik gestärkt haben;
۲. Nach einer stillschweigenden Vereinbarung zwischen den imperialistischen Polen – hauptsächlich den USA und Russland – wurde der Iran plötzlich und auf eine für die IR demütigende Weise aus seiner regionalen Basis in Syrien vertrieben, einem wichtigen Akteur der Stellvertreterkriege zwischen den imperialistischen Mächten;
۳. Kurz darauf sah sich das iranische Regime mit dem Wiederaufleben des Einflusses von Trump zunehmendem Druck seitens der USA ausgesetzt, die Annahme des „restriktiven“ Atomabkommens zu akzeptieren.
Der Iran war vor diesem Hintergrund – wie er bereits in früheren kurzen und weitgehend indirekten militärischen Konfrontationen gezeigt hatte – nicht an einem umfassenden militärischen Konflikt mit Israel interessiert, zumal er wusste, dass er sich dabei neben den USA und ihren westlichen Verbündeten auch der israelischen Armee gegenüber sehen würde. Dennoch spielte der Iran aufgrund seines unmenschlichen Charakters und der Hybris seiner Herrscher seine Rolle auf Kosten des iranischen Volkes und des gesamten Nahen Ostens weiter.
Der jüngste Angriff Israels auf den Iran (mit grünem Licht von und Unterstützung durch seine westlichen Verbündeten) ermöglicht es dem Iran:
• seine reaktionären Strategien auf nationaler, regionaler und globaler Ebene zu rechtfertigen, indem er sich als Opfer darstellt, seine Legitimität betont und nach neuen Möglichkeiten sucht, seine Ziele zu erneuern und zu verfolgen.
• seine Abhängigkeit vom iranischen Nationalismus zu vertiefen, um progressive Kräfte zu marginalisieren.
• den Militarismus (und möglicherweise auch sein Atomprogramm) noch aggressiver voranzutreiben.
• Widerstand, Proteste und soziale Bewegungen im Land mit noch größerer Brutalität zu unterdrücken.
Es ist kein Zufall, dass zu den ersten Reaktionen der IR auf die militärische Invasion Israels gehörte: die Einschränkung des Internetzugangs; Sicherheitswarnungen und Drohungen an politische und zivilgesellschaftliche Aktivist*innen, kritische Berichterstattung und Äußerungen in Bezug auf die Kriegssituation zu unterlassen; ein verstärkter Sicherheitsdruck auf politische Gefangene; präventive Verhaftungen politischer Aktivist*innen; der Rückgriff auf nationalistische Diskurse und Symbole; zunehmender Rassismus und rassistische Anschuldigungen gegen afghanische Migrant*innen und Geflüchtete, verbunden mit vermehrten Massenverhaftungen und Abschiebungen; die Verstärkung der Idee, militärische Überlegenheit zu erlangen (oder die Notwendigkeit des Erwerbs von Atomwaffen und des Ausbaus der Raketentechnologie), um die „Nation” und das „territoriale Heimatland” zu schützen. [۳]
II. Bellizismus und Kriegstreiberei im Kontext des globalen Kapitalismus
Die Entwicklung des Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten ging mit einer Reihe von verschärften, miteinander verflochtenen Krisen einher. Selbst diejenigen, die den Kapitalismus konzeptionell nicht als umfassenden historischen Prozess anerkennen, haben die allgegenwärtigen Auswirkungen dieser Krisen auf verschiedene Weise gespürt und sind sich der Ungerechtigkeit der gegenwärtigen Lage und der düsteren Zukunftsaussichten zumindest teilweise bewusst geworden. Dieses Bewusstsein wird u.a. gebildet durch die Wahrnehmung der Folgen der Klimakatastrophe, wirtschaftliche Krisen und Austeritätspolitiken, den Aufstieg rechtsextremer Tendenzen, zunehmende Ausgrenzungsprozesse oder die Welle von Kriegen und Militarismus und deren Auswirkungen auf die Unsicherheit der Lebensbedingungen. Die herrschenden Eliten – sowohl die staatliche als auch die wirtschaftliche (kapitalistische) – sind sich der Tiefe und der Auswirkungen dieser Krisen noch deutlicher bewusst als die Bevölkerung. Entscheidend ist, dass die Auswirkungen dieser Krisen neue Bedingungen für die Konfiguration der vorherrschenden Machtstrukturen, von Staaten bis hin zu multinationalen Konzernen, geschaffen haben.
Die Neuordnung der neoliberalen Weltordnung – die selbst eine groß angelegte strukturelle Reaktion auf die Krise des vorherigen fordistischen Akkumulationsmodells und auf die Neugestaltung der globalen Beziehungen war – ist weniger als drei Jahrzehnte nach ihrem triumphalen Aufstieg zu einer Quelle tieferer und umfassenderer Krisen geworden. Die Vorboten dieser Krisen zeigten sich in der Wirtschaftskrise von 2008, wie sie von der marxistischen Kritik der kapitalistischen politischen Ökonomie vorhergesagt wurde. Eine weitere bedeutende Folge dieser neuen Krisenphase ist die Eskalation inner-imperialistischer Rivalitäten und Konflikte. Diese inner-imperialistische Eskalation zeigte sich zunächst in der Verschärfung der Konkurrenz und Feindseligkeiten zwischen Russland und dem Westen, insbesondere in den Stellvertreterkriegen im Irak, in Syrien, Libyen, Jemen und dem Sudan. Sie wurde mit der militärischen Invasion Russlands in die Ukraine greifbarer und mit den wachsenden hegemonialen Rivalitäten zwischen China und den Vereinigten Staaten (und ihren westlichen Verbündeten) schließlich zu einer offensichtlichen, bestimmenden Realität. Der schreckliche Krieg, den Israel in Gaza begonnen hat, entfaltete sich in diesem historischen Rahmen und dauert seitdem bedingungslos und unkontrolliert an.
Die Ausbreitung von Kriegen und das Erstarken von Militarismus und Kriegstreiberei sind jedoch nicht nur Ausdruck verschärfter inner-imperialistischer Konflikte. Vielmehr besteht die Hauptfunktion von Kriegen in einer Neustrukturierung der Weltordnung. Kriegstreiberei dient damit nicht nur dem „erfolgreichen“ Bestehen in den verschärften und unvermeidbaren Hegemonialkonflikten, sondern trägt auch dazu bei, dass die Anforderungen der Kapitalakkumulation an sich inmitten anhaltender Krisen erfüllt werden können. Dies geschieht u.a. durch die
• Kanalisierung immer größerer Teile der Infrastruktur und der Ressourcen der Volkswirtschaften in den Militarismus, als Fortführung der Infrastruktur und Investitionsausrichtung, die während des Kalten Krieges und der darauf folgenden Phase des „Krieges gegen den Terror“ geschaffen wurden. Diese Ausrichtung hat die Struktur der Volkswirtschaften in den kapitalistischen Zentren maßgeblich geprägt. Sie zielt darauf ab, die „nationale Leistungsfähigkeit“ zu verbessern, um in den eskalierenden, unvermeidlichen Kämpfen um die globale Hegemonie zu bestehen und Zugang zu Ressourcen (natürliche Ressourcen und Märkte) zu erhalten, die in den Krisen der Postglobalisierung immer knapper werden.
• Ausweitung der Strategie der „kreativen Zerstörung” durch die militärische Zerstörung der städtischen und industriellen Infrastruktur. Dieser Mechanismus verbraucht zwar angesammelte militärische Güter, schafft aber gleichzeitig auch die Voraussetzungen für künftige wirtschaftliche Investitionen und verschärft regionale Rüstungswettläufe, wodurch die weltweite Nachfrage nach Waffen steigt.
• Modernisierung der Militärtechnologie durch die praktische Erprobung bestehender Waffen und neuester Militärtechnologien.
• Stärkung der Fähigkeiten der globalen und regionalen Mächte (als Subunternehmer imperialistischer Kräfte), um den wachsenden Widerstand der ausgebeuteten Massen zu unterdrücken. Denn die Ausweitung des Militarismus durch Staaten verstärkt ihre repressive Herrschaft über die Bewegungen unterdrückter Bevölkerungsgruppen – riesige, heterogene Massen, die – neben der zunehmenden Proletarisierung aufgrund neoliberaler Enteignungen – die Hauptlast der kapitalistischen Krisen tragen und in verschiedenen Formen und auf unterschiedlichen Ebenen Widerstand leisten. In der Welt nach der Krise von 2008 hat nicht nur ein aggressiver Vormarsch des Kapitalismus und seine Verwandlung in autoritäre Formen stattgefunden, sondern auch ein Anstieg von Massenprotesten: vom Arabischen Frühling, über Occupy Wall Street, der Indignados-Bewegung in Spanien, Syriza in Griechenland, der sudanesischen Revolution, den Aufständen gegen die Austeritätspolitik im Jahr 2019 im Globalen Süden, der Gelbwesten-Bewegung bis hin zu einer Reihe von Massenaufständen im Sudan und im Iran, die in den Aufständen unter dem Motto „Frauen, Leben, Freiheit“ gipfelten.
In einer solchen Welt ist die Zunahme von Kriegen, Militarismus und Kriegstreiberei kein Zufall, sondern eine strukturelle Reaktion der herrschenden Ordnung auf Krisen, die ihre Reproduktion bedrohen. Darüber hinaus bietet diese Form des aggressiven Krisenmanagements – eine Form des „Katastrophenkapitalismus“ – auch die notwendigen flexiblen Kapazitäten, damit die globalen Machtzentren Verbündete, die teilweise zu Hindernissen bei der Durchsetzung ihrer Interessen geworden sind (z.B. zu eigensinnige Regime im Globalen Süden), loswerden oder fallen lassen können. Diese Flexibilität hängt von der Bereitschaft imperialistischer Pole ab, fluide Bündnisse einzugehen, wie die Machtverschiebungen in Syrien zeigen. So war das „grüne Licht“ der Weltmächte für die Invasion Israels im Iran eine Folge der hartnäckigen Bemühungen der iranischen Machthaber, trotz der veränderten und unsicheren Bedingungen der Weltordnung, feste Garantien für politische Stabilität zu erhalten. Die „wahnhafte Hybris“ der IR war so groß, dass das derzeitige Regime, trotz der strukturellen Rolle des Iran bei der Durchsetzung der imperialistischen Ordnung im Nahen Osten und der Stärkung des globalen Kriegsregimes, mit seinen nuklearen und raketenpolitischen Ambitionen zu einem Hindernis für die derzeitige Konstellation der imperialistischen Kräfte in dieser Region geworden ist.
Die Illusionen der iranischen Herrscher basierten dabei auf zwei Fehlannahmen:
• Erstens ihrer Ansicht, dass es möglich sei, über einen langen Zeitraum hinweg eine „Halbkriegsbeziehung“ zu Israel aufrechtzuerhalten. Sie verließen sich über vier Jahrzehnte auf die Stabilität dieser Beziehung als politisch-ideologisches Instrument und propagierten gleichzeitig die Vernichtung Israels. Diese Fehlannahme ignorierte, dass Israel die Grenzen dieses langjährigen, stabilen Konflikts einseitig verschieben könnte, um seine Vorteile in eine entscheidende Phase zu bringen.
• Zweitens die irrige Annahme, dass sie sich langfristig auf den anhaltenden Konflikt zwischen den imperialistischen Zentren des Westens und des Ostens verlassen könnten, indem sie diese Spaltung ausnutzen und sich strategisch mit den imperialistischen Kräften des Ostens verbünden. Dabei wurde die Möglichkeit übersehen, dass sich Großmächte aufgrund unterschiedlicher und dynamischer strategischer Bedürfnisse verbünden und regionale Partner fallen lassen können. Die relative Vernachlässigung der Islamischen Republik durch Russland während der Machtverschiebungen in Syrien war eine, wenn auch späte Erkenntnis dieser Tatsache.
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass dieser Krieg auf der Makroebene zwei wesentliche strukturelle Funktionen erfüllt:
• die globalen Zyklen der Kapitalakkumulation durch Militarisierung zu reproduzieren
• die Verhältnisse im Nahen Osten und im Iran neu zu gestalten, um den Widerstand der sozialen Bewegungen zu zerschlagen und deren Wachstumspotential zu begrenzen.
Daneben erfüllt der Krieg eine dritte, nebensächliche Funktion, im Sinne einer anpassungsfähigen Strategie, um die übermäßigen Ambitionen der Islamischen Republik, die zu einem Hindernis der westlichen Interessen wurde, zu beseitigen (oder zumindest zu modulieren).
Vielleicht hat Friedrich Merz, der reaktionäre deutsche Bundeskanzler, diese dritte Funktion ungewollt deutlicher als jeder andere bestätigt, als er erklärte [۴]: „Israel führt diesen schmutzigen Krieg jetzt für uns“. Damit räumte Merz implizit ein, dass Israel eine Basis für den westlichen Imperialismus im Nahen Osten ist. Ein wichtiger ergänzender Punkt, den Friedrich Merz nicht artikulieren kann oder will, ist folgender: Seit mehreren Jahrzehnten führen die israelische und die iranische Regierung im Auftrag all dieser imperialistischen Mächte „schmutzige Kriege“ gegen die Palästinenser*innen und die iranische Bevölkerung (sowie die Bevölkerungen des Nahen Ostens).
III. Auswirkungen und Folgen der israelischen Invasion im Iran
Krieg tötet und zerstört. Gleichzeitig untergräbt er aber auch die Grundlagen des menschlichen Lebens, von der Umwelt und den natürlichen Ressourcen über die städtische und industrielle Infrastruktur bis hin zu den grundlegenden sozialen Strukturen, die für soziale und politische Kämpfe und den Widerstand gegen die bestehende Ordnung unerlässlich sind. Krieg trägt zur unmittelbaren Ausweitung von Armut und Entbehrung bei und verschlechtert – in seiner engen Verbindung mit dem Patriarchat – auch die Situation von Frauen* in vielerlei Hinsicht.
Aus politischer Sicht zentral ist die Tatsache, dass Krieg die Zukunft der Menschen in Geiselhaft nimmt, indem er ihre Fähigkeit (und ihre Möglichkeiten) einschränkt, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen. Diese Gefahren zeigen sich im aktuellen Krieg, den Israel gegen den Iran begonnen hat, insbesondere dadurch, dass der despotische, reaktionäre und patriarchale Charakter der IR diese katastrophalen Prozesse noch intensivieren wird. In diesem Abschnitt konzentrieren wir uns auf die Tendenzen/Mechanismen, die die Subjektivität der Unterdrückten im Iran einschränken.
Die IR hat nicht nur die Bedingungen mit geschaffen, die es dem israelischen Regime ermöglichte, der iranischen Bevölkerung diesen imperialistischen Krieg mit seinen schrecklichen direkten Folgen aufzuzwingen [۵]. Der Krieg hat auch die Entwicklung der Subjektivität der Unterdrückten im Iran eingeschränkt und verformt, die durch jahrzehntelangen, kostspieligen Kampf unter schrecklicher staatlicher Repression gebildet wurde. Er hat den Lebensraum der Bevölkerungen im Nahen Osten unsicherer, instabiler und fragiler denn je gemacht und damit den Weg für das Wachstum reaktionärer Tendenzen und Politiken geebnet. Darüber hinaus wird diese volatile Region durch den Ausbau der Militärapparate noch anfälliger für das Entstehen von Regimen, die auf Militarismus und politisch-sicherheitspolitischer Repression basieren.
Unabhängig davon, wie sich das künftige Regime oder die Herrscher im Iran verändern mögen, besteht eine grundlegende Funktion dieses Krieges darin, die Mechanismen zu stärken, die die staatliche Autorität gegenüber den unterdrückten Massen in kommenden, unvermeidlichen Aufständen sowohl im Iran als auch der gesamten Region wiederherstellen und stabilisieren. Aus dieser Perspektive ist der aktuelle Krieg mit all seinen humanitären, ökologischen und infrastrukturellen Zerstörungen das jüngste Beispiel für eine imperialistische Herangehensweise (im Nahen Osten und Globalen Süden) die auf die Untergrabung der Subjektivität der unterdrückten Bevölkerungen abzielt. Da die Grundlage für jede materielle Hoffnung auf Rettung und Befreiung der Bevölkerungen des Nahen Ostens die Wiederbelebung progressiver und revolutionärer Kräfte unter den Unterdrückten und Marginalisierten ist, müssen wir diese Funktion genauer analysieren.
۱) Die Untergrabung der Subjektivität der Unterdrückten im Iran – Neue Entwicklungen in der politischen Denkweise der iranischen Bevölkerung
Um die tragischen Auswirkungen des aktuellen Krieges auf den Rückgang und die Unterdrückung der Subjektivität der Bevölkerung im Iran zu verstehen, müssen wir uns zwei Aspekte vor Augen halten:
۴. Die Auswirkungen dieses Krieges verstärken zwar die Mechanismen, die der Entwicklung einer emanzipatorischen Subjektivität der Bevölkerung im Iran entgegenstehen. Diese Mechanismen basieren aber auf älteren Mechanismen staatlicher Repression und politischer Unterdrückung durch das autokratische Regime.
۵. Der staatliche Angriff auf die Subjektivität der Unterdrückten (mithilfe dieses Krieges) bedeutet nicht, dass es eine kollektive, homogene Subjektivität der Unterdrückten (mit progressiver Ausrichtung) in ihrem Kampf gegen das degenerierte Herrschaftssystem des Iran gäbe.
Zu den Folgen der Kriegssituation (und der Machtkonstellationen nach dem Krieg) gehören:
• Direkte Repression und Schwächung progressiver Kräfte.
• Die Ausbreitung eines Klimas der Angst und allgemeinen Unsicherheit, das eine passive und fatalistische Haltung fördert.
• Das Vorherrschen dieser Atmosphäre führt zur Stärkung dualistischer Herangehensweisen, die den intellektuellen Raum und die politischen Denkweisen in der Gesellschaft stark polarisieren und das Potenzial für die Bildung einer progressiven politischen Subjektivität einschränken oder blockieren.
Unserer Ansicht nach wird die direkte Unterdrückung von (und möglicherweise Massaker an) revolutionären und progressiven Kräften zwar zu den Folgen dieses Krieges gehören. Die wichtigste repressive Funktion des Kriegs- und Nachkriegsumfeldes besteht jedoch darin, die Bedingungen zu verstärken, die die Prozesse der Bildung von Subjektivität in reaktionäre Bahnen lenken – die Degeneration kollektiver Subjektivität. Dieser Punkt bedarf einer näheren Erläuterung sowohl hinsichtlich der jüngsten Geschichte dieses Degenerationsprozesses als auch hinsichtlich seiner Zukunftsaussichten.
a) Der wachsende Einfluss monarchistischer und nationalistischer Strömungen
Die Herrscher der Islamischen Republik, die seit langem mit zunehmenden Widersprüchen und Krisen konfrontiert sind, haben die Forderungen der Bevölkerung und der Massenaufstände brutal unterdrückt, anstatt politische und sozioökonomische Reformen voranzutreiben. Während Ausbeutung, Enteignung und strukturelle Korruption ins Unermessliche stiegen, verfolgten die iranischen Machthaber beharrlich die Ausweitung des Militarismus, die Entwicklung von Atom- und Raketenprogrammen und aggressive regionale Interventionen unter dem Deckmantel des „Antiimperialismus“ und „Antizionismus“. Dieser Prozess führte ab 2017 zu zahlreichen Massenaufständen, die jeweils blutig niedergeschlagen wurden. Der jüngste, der Jina-Aufstand von 2022, war aufgrund seines Ausmaßes, seiner geographischen Reichweite, seiner Dauer und der Hoffnung auf Veränderung bemerkenswert und übertraf alle bisherigen Proteste – ebenso die Intensität der staatlichen Repressionen.
Die Unterdrückung und der Niedergang dieser Massenaufstände, insbesondere des Jina-Aufstandes, schürten Verzweiflung und Passivität, was wiederum den Einfluss reaktionärer Diskurse wie Monarchismus, nationalistische Überlegenheit und Chauvinismus unter den Oppositionellen und unzufriedenen Massen verstärkte. In Abwesenheit progressiver Kräfte und Medien (oder aufgrund ihrer historisch bedingten Schwäche und Zersplitterung) wurden die reaktionären Diskurse über die persischsprachigen Medien westlicher Mächte und Fernsehsender mit Verbindungen zu Saudi-Arabien und Israel (wie „Man-o-To“ und „Iran International“) rund um die Uhr verbreitet und dadurch verstärkt. Diese mächtigen Medien reagierten auf das durch politische Niederlagen und Hoffnungslosigkeit verursachte Leid systematisch und konsequent mit der Illusion einer Rettung von außen. Sie kanalisierten somit die Wut und den Hass der Massen auf die Idee „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“.
Der Einfluss dieser monarchistischen und nationalistischen Strömungen gewann während des Niedergangs des Jina-Aufstands an Stärke. Ihre Verbreitung beschleunigte den Niedergang der revolutionären Dynamik, die von starker staatlicher Unterdrückung betroffen war. Nach der endgültigen Niederschlagung des Aufstands wurden diese Strömungen zum vorherrschenden Diskurs innerhalb des oppositionellen politischen Raums (sowohl im Inland als auch in der Diaspora). In dieser Zeit wurde auch die Affinität zwischen monarchistisch-nationalistischen Tendenzen und pro-israelischen Gefühlen (die Israels Vorgehen gegen die Palästinenser*innen lobten) im öffentlichen Diskurs deutlicher. Hinzu kam die Unterstützung der Monarchisten für westliche Wirtschaftssanktionen und ihre offene Begeisterung für eine mögliche Invasion des Iran durch die USA oder Israel zur „Befreiung” der iranischen Bervölkerung. [۶]
b) Entwicklung von staatslegitimierenden anti-imperialistischen Gegenpositionen
Als Gegenreaktion auf diese reaktionären Positionen entstand ein anderer politischer Diskurs. Er richtet den Fokus auf die destruktiven Folgen der Wirtschaftssanktionen gegen den Iran sowie die fatale Lage der Palästinenser*innen und die unkontrollierbare Tyrannei Israels. Darüber hinaus umfasst dieser Ansatz eine vollständige oder taktische Verteidigung der geopolitischen Strategie der IR und ihrer militärischen Expansion (Atom- und Raketenpolitik), auch wenn sich in ihm unterschiedliche Strömungen versammeln: von überzeugten Anhänger*innen des Velayat-e Faqih (der Position des obersten Führers der IR) oder anderen Regime-Loyalist*innen, die unter der Doktrin der „Widerstandsachse” nichts weniger als die Zerstörung Israels anstreben. Bis hin zu moderaten und sogar radikalen Linken, die, sei es aus nationalistischen oder antiimperialistischen Positionen (mit Überschneidungen), die geopolitische und militärische Politik der Islamischen Republik energisch verteidigen. Sie betrachten die militärische und nukleare Strategie der Islamischen Republik als notwendige Reaktion auf die imperialistische und israelische Aggression im Nahen Osten. Einige betrachten diese staatliche Politik als „notwendiges Übel” und setzen jede Kritik daran mit einer Vernachlässigung nationaler Interessen oder einer Anfälligkeit für imperialistische Diskurse gleich. Politisch verteidigen sie entweder direkt oder indirekt die IR. Auch wenn ein Teil dieser Strömung die sozialen Bewegungen und Aufstände im Iran nicht gänzlich ablehnen, räumen sie der Bekämpfung imperialistischer Beziehungen in der Region Vorrang ein. Sie argumentierten, dass politische Probleme mit den iranischen Machthabern keine Rechtfertigung dafür seien, die geopolitischen und antiimperialistischen Strategien des Iran zu diskreditieren oder zu untergraben.
Solche Widersprüche schränkten den Spielraum für progressive oppositionelle Kräfte ein, die bereits durch anhaltende Repression, das Erbe politischer Massaker und die hegemoniale Verbreitung neoliberaler Diskurse und Politik geschwächt und zersplittert waren. So bekämpfen zum Beispiel linke Befürworter*innen der „Achse des Widerstands”, unterstützt durch staatliche Propaganda, ihre linken Gegner*innen, indem sie ihnen vorwerfen „Pro-NATO” („pro-imperialistisch“) zu sein, oder indem sie sie als „koloniale Linke“, „Regime-Changer“ oder „liberale Linke“ bezeichnen. Die Massenproteste im Iran betrachten sie als von imperialistischen Mächten manipuliert oder sie nutzen monarchistisch orientierte Parolen und Stimmungen innerhalb der Proteste, um diese als Ganzes zu diskreditieren und ihre eigene politische Haltung zu legitimieren. Diese Spannungen und Konflikte innerhalb der linken Spektren haben sich nach dem endgültigen Zusammenbruch des Jina-Aufstands verschärft, insbesondere durch den katastrophalen Krieg Israels im Gazastreifen, der die Polarisierung und die politischen Unruhen weiter anheizte.
۲) Der Einfluss der Iran-Israel-Frage auf den intellektuell-politischen Raum im Iran
Nachdem sich das iranische Regime nach der Machtübernahme infolge der Revolution von 1979 der linken revolutionären Bewegungen entledigt hatte (u.a. durch Massenverhaftungen, Zerschlagung der revolutionären Bewegungen und Massenhinrichtungen von politischen Gefangenen), etablierte die Islamische Republik ihre politisch-ideologische Doktrin auf der Grundlage des Schiismus, des Anti-Istikbar (Opposition zur westlichen Vorherrschaft) und des Antizionismus. Seit Jahrzehnten erleben die Menschen im Iran, dass der derselbe Apparat, der ihre grundlegenden Forderungen mit Unterdrückung, Inhaftierung und Hinrichtung beantwortet, sich gleichzeitig die Verteidigung des palästinensischen Volkes auf die Fahne schreibt, die kompromisslose Feindseligkeit gegenüber westlichen Staaten im Allgemeinen und Israel im Besonderen hochhält und sich dabei auf Verse aus dem Koran und islamischer Lehren beruft.
Die Tatsache, dass keine der oppositionellen Bestrebungen, Proteste und Massenaufstände der letzten Jahrzehnte etwas an der Unterdrückung im Iran verändern konnte, begünstigte die Ausbreitung bestimmter ideologischer und politischer Tendenzen in der Gesellschaft – Tendenzen, die in der Ablehnung der Grundlagen der Staatsdoktrin verwurzelt sind. Dazu gehören:
• Säkularismus und sogar Antireligiosität (in Opposition zu einem religiösen Staat).
• Nationalismus (im Gegensatz zur jahrelangen Verunglimpfung solcher Gefühle durch den Staat zugunsten des Islam).
• Begeisterung für westliche Modelle des gesellschaftspolitischen und kulturellen Lebens (als Reaktion auf die feindliche Haltung des Staates gegenüber dem Westen und als Reaktion auf alle vom IR auferlegten Einschränkungen des Lebensstils).
• Heroische Verteidigung des „freien Marktes” (als Alternative zur mangelhaften und krisengeschüttelten iranischen Wirtschaft, die weitgehend als Staatswirtschaft verstanden wird).
• Pro-israelische Stimmung/Haltung (aufgrund der offiziellen anti-israelischen Rhetorik und der Rechtfertigung der kostspieligen regionalen Interventionen des Staates auf Basis der Strategie der „Achse des Widerstands“).
Die Ausbreitung anti-linker und anti-revolutionärer Diskurse im Iran und die Rolle monarchistisch-nationalistischer Strömungen
Vor diesem Hintergrund haben Diskurse im Iran weitreichenden Einfluss gewonnen, die Antikommunismus, Linkenhass und ganz allgemein anti-revolutionäre Einstellungen fördern. Die systematische Verbreitung dieser anti-linken und anti-revolutionären Diskurse wurde erstmals von der reformistischen Fraktion innerhalb der Machtstruktur der IR betrieben (seit der Präsidentschaft von Khatami im Jahr 1997). Sie zielte darauf ab, das neoliberale Projekt voranzutreiben und den sozialen Widerstand durch die Verbreitung der neoliberalen Ideologie zu neutralisieren. Diese reformistische Fraktion startete eine massive Kampagne gegen linke Ideen und Tendenzen und verurteilte später sogar die Revolution von 1979 (und das Konzept der Revolution an sich), weil diese von marxistischen und antiimperialistischen Lehren geprägt sei. Nachdem die in Ungnade gefallenen Reformisten aus dem Machtzentrum zurückgezogen worden waren, setzten sie ihre Arbeit viele Jahre lang am Rande des Staatsapparats fort und nutzten ihren politischen Einfluss und ihre Ressourcen, um die anti-linken und anti-revolutionären Diskurse weiter zu verbreiten. Durch die Verbindung mit nationalistischen Ideologien, legten sie den Grundstein für das Aufkommen monarchistischer Narrative sowie nostalgisch-nationalistische Narrative über ein persisches Großreich. Viele ehemalige Reformist*innen wurden sogar zu Theoretiker*innen, Aktivist*innen und Verfechter*innen des Monarchismus.
Als der Einfluss monarchistischer Kreise zunahm, nahmen die Monarchisten anti-linke Parolen in ihr Repertoire gängiger Parolen (Rassismus gegen unterdrückte Nationalitäten im Iran, Fremdenfeindlichkeit und Feindseligkeit gegenüber afghanischen Migrant*innen, Islamfeindlichkeit und anti-arabische Stimmung, pro-israelische Haltung) auf. Auch wenn die Hartnäckigkeit der anti-linken Haltung ursprünglich auf der Erfahrung der Revolution von 1979 beruht, die sich gegen den damaligen Schah richtete (als „Grundlage aller Probleme des Iran“), ist sie auch eine Reaktion auf den staatlichen Diskurs der „Achse des Widerstands“. Denn dieser verwendet teilweise eine linke politische Sprache um die Ansprüche/Narrative der IR (wie die Befreiung Palästinas) zu verteidigen oder fundamentalistische islamistische Organisationen, wie die Hamas und die Hisbollah, als Widerstandskräfte zu unterstützen. Da auch oppositionelle linke Kräfte meist Sympathie und Solidarität mit den Palästinenser*innen ausdrücken und die zionistische Politik und imperialistischen Funktionen der israelischen Regierung (in unterschiedlichen Maße) ablehnen, verflochten sich der wachsende anti-linke Diskurs im Iran mit dem Aufkommen pro-israelischer Stimmungen.
Als die anti-israelische Propaganda der IR eskalierte und die öffentlichen Kosten der Strategie der „Achse des Widerstands“ – wie beispielsweise Wirtschaftssanktionen – für die iranische Bevölkerung immer schwerer zu ertragen waren [۷], gewann auch der pro-israelische Diskurs an Zugkraft. Angesichts der wiederholten und kostspieligen Misserfolge von Massenprotesten schien die Idee, die IR durch die Macht der Bevölkerung zu stürzen, zunehmend unrealistisch. In dieser allgemeinen Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit verbreiteten pro-israelische Fernsehsender in persischer Sprache rund um die Uhr ihre ideologischen Narrative.
Vor diesem historischen Hintergrund begann der Krieg Israels im Gazastreifen. Ein Konflikt, in den auch die IR durch ihre Führungsrolle in der „Achse des Widerstands“ in den regionalen Unruhen verwickelt war. Während dieses Krieges verschärften sich nicht nur die aggressive Rhetorik und die gegenseitigen Drohungen, sondern es kam auch zu mehreren militärischen Zusammenstößen. Dadurch rückte die „Iran-Israel“-Frage und die Palästina-Frage erneut in den Vordergrund der öffentlichen Debatte. Zu diesem Zeitpunkt, der mit den psychologischen Nachwirkungen der endgültigen Niederlage des Jina-Aufstands zusammenfiel, zielte die Propaganda der israelischen Regierung und der Israel nahestehenden persisch-sprachigen Medien offener und direkter als zuvor auf die iranische Öffentlichkeit ab. So wandte sich Netanjahu wiederholt an die iranische Bevölkerung, lobte deren Kampf gegen die IR und versprach den Unzufriedenen und Verzweifelten die „Befreiung des Iran“.
Auf der anderen Seite versammelten sich die Monarchist*innen und verwandte politische Strömungen – offener denn je – zur uneingeschränkten Unterstützung der israelischen Politik und rechtfertigten und verzerrten die Kriegsverbrechen Israels in Gaza. Ein erheblicher Teil ihrer aktiven Anhänger/Befürworter*innen begrüßte die genozidalen und ethnischen Säuberungen der israelischen Regierung mit islamfeindlichen und anti-arabischen Narrativen.
Generell verbindet die Anhänger*innen des Monarchismus mit Israel (bis hin zur Besessenheit) ihre gemeinsame Opposition gegen die IR, die auf dem erweiterten Einfluss des Paradigmas „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ beruht. Diese Verbundenheit basiert auf zwei strategischen Perspektiven:
۱. der ausgeprägten militärischen Macht Israels und der damit verbundenen, konkreten Möglichkeit, diese angesichts der zunehmenden Spannungen und militärischen Bedrohungen gegen die Islamische Republik einzusetzen;
۲. einer möglichen Machtübernahme der Monarchisten nach dem Sturz der IR aufgrund der Nähe der israelischen Machthaber zu den US-Behörden als strategischen Verbündeten. [۸]
Es ist zu vermuten, dass in den Überlegungen der US-amerikanischen und israelischen Machthaber hinsichtlich der Durchführbarkeit einer militärischen Invasion des Iran, nicht nur die bereits bestehende Schwächung der regionalen militärischen Proxy-Kräfte der Islamischen Republik eine Rolle gespielt hat, sondern auch die mögliche positive Reaktion der Öffentlichkeit auf eine solche Invasion durch Israel. Dies gilt insbesondere angesichts der teilweisen Beeinflussung des mentalen und psychologischen Klimas der iranischen Gesellschaft durch das Paradigma „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ (auch wenn die katastrophalen Folgen dieser Invasion diese Haltung deutlich umkehren könnten). Andererseits steht der monarchistische Diskurs in auffälliger Übereinstimmung mit dem von den westlichen Mächten bevorzugten Ansatz der Neuordnung oder des Wiederaufbaus der politischen Macht im Iran. Nun, da Israel mit der vollen Unterstützung und Genehmigung dieser Mächte endlich die Gelegenheit hat, seinem langjährigen regionalen Rivalen – der IR – einen entscheidenden Schlag zu versetzen, könnte – wenn die IR, wie es die Anzeichen vermuten lassen, vor dem Zusammenbruch steht – der Monarchismus zumindest in der Anfangsphase ein geeigneter Kandidat für eine Machtübergabe von oben (Regimewechsel) werden. Denn er verfügt bereits über viele der notwendigen Faktoren, um eine solche Rolle zu spielen: pro-westliche Ausrichtung, entschiedener Verfechter des Neoliberalismus, pro-israelisch (pro-zionistisch), anti-links und sehr „flexibel“ in Machtverhandlungen.
۳) Die Auswirkungen der Iran-Israel-Frage (und der Iran-Palästina-Frage) auf die linke Opposition im Iran
Innerhalb der oppositionellen Linken im Iran wurde die Notwendigkeit der Solidarität mit den Palästinenser*innen und die Ablehnung des zionistischen Genozids und der ethnischen Säuberungen im Zusammenhang mit dem Krieg in Gaza zwar allgemein anerkannt. Doch die Frage, wie diese Solidaritätsbekundung im Verhältnis zum Kampf gegen die Islamische Republik artikuliert werden sollte, wurde zu einem Ort ideologischer und politischer Verwirrung und Konflikte. Im vorherrschenden Diskurs und politischen Ansatz in der Solidaritätsbewegung wird die Unterstützung des palästinensischen Widerstands sowie der Widerstand gegen die Maschinerie des Mordens und Genozids betont, die Rolle der Hamas jedoch weitgehend ausgeklammert. Dadurch wird die Hamas implizit oder explizit als Vertreterin des palästinensischen Widerstands anerkannt. Unterdessen steht die iranische linke Opposition vor dem Dilemma zwischen den folgenden widersprüchlichen Ansätzen wählen zu müssen:
• Entweder die politisch-ideologische Verwandtschaft zwischen der Hamas (und dem Islamischen Dschihad) und der IR beiseite zu lassen und die Opposition zur IR im Akt der Solidarität mit Palästina praktisch zu übersehen (da laut der vorherrschenden Solidaritätsperspektive die Hamas als primäre Kraft des palästinensischen Widerstands gegen Israel bedingungslos unterstützt werden soll).
• Oder einen komplexeren, wenn auch weniger anerkannten Ansatz der Solidarität mit Palästina zu verfolgen (aufgrund der geringeren Unterstützung durch palästinensische und nahöstliche linke Strömungen).
• Oder eine passive, zweideutige und ineffektive Haltung einzunehmen.
Dieses politische Dilemma, das zu offensichtlichen Konfrontationen und Spannungen zwischen den linken Kräften im Iran (und darüber hinaus) führte, blieb ungelöst, insbesondere aufgrund seiner umstrittenen theoretisch-strategischen Kernpunkte [۹]. Die Invasion Israels im Iran und der Beginn dieses imperialistischen Krieges haben dieses politische Dilemma und das damit verbundene politische Chaos unter Linken im Iran und im Nahen Osten weiter verschärft und weiter polarisiert.
Die staatslegitimierende oberflächliche anti-imperialistische Strategie
Einige Linke im Iran betrachten die militärische Invasion Israels in den Iran als Überschreitung einer roten Linie, die jeglichen Hinweis auf den Hintergrund der Invasion nicht nur überflüssig, sondern zu einem fatalen politischen Fehler macht (im Sinne einer vermeintlichen „Relativierung der Schuld Israels“) [۱۰]. Diese Haltung, die auf einem spezifischen Verständnis von Antiimperialismus (und/oder Antizionismus) basiert, betont die Opposition zu oder den Widerstand gegen Israel (als Kriegsstaat) und spielt die Rolle der IR bei der Ermöglichung dieses Krieges herunter. Andere Positionen, die vom gleichen Ausgangspunkt ausgehen, berufen sich auf das „Recht auf Selbstverteidigung” des iranischen Regimes, unterstützen die „Standhaftigkeit” des Irans oder befürworten sogar die Teilnahme an einem „nationalen Krieg”.
In der aktuellen turbulenten Kriegssituation verbreitet sich in den vorherrschenden Diskursen der oppositionellen Linken im Iran eine bestimmte Interpretation des Antiimperialismus, die wir kritisieren. In dem Versuch, den verzerrten politischen und medialen Mainstream-Narrativen eine radikale und entschlossene Gegenposition entgegen zu stellen, fokussiert diese Position einseitig auf die militärische Aggression und die direkte Rolle des Aggressors (Israel). Auch wenn völlig zurecht die Notwendigkeit des Widerstands gegen die israelische Vorherrschaft betont wird, neigen Vertreter*innen dieses Ansatzes dazu, die israelische Vorherrschaft und Aggression von den Hintergründen und Verhältnissen des Nahen Osten als Ganzem zu abstrahieren, wie beispielsweise von der spezifischen Rolle des islamischen Regimes im Iran. Diejenigen Positionen, die auch die destruktive Rolle der Islamischen Republik berücksichtigen, um den Ausbruch dieses Krieges in einen breiteren Kontext zu stellen, werden oft beschuldigt, Israels Kriegsverbrechen zu relativieren oder zu beschönigen und die Rollen der beiden Staaten gleichzusetzen. Der vorherrschende Ansatz spiegelt ein breiteres Muster innerhalb des hegemonialen internationalistischen Solidaritätsdiskurses mit Palästina wider, der „wahre Solidarität” darin sieht, Kritik an der Operation der Hamas vom 7. Oktober zu vermeiden oder die tatsächliche Rolle der Hamas im Widerstand infrage zu stellen. Mit anderen Worten: Der kriminelle Charakter des jüngsten Krieges hat eine bereits bestehende Polarisierung innerhalb der iranischen (und möglicherweise auch der breiteren nahöstlichen) Linken aktiviert, die dazu neigt, auf die politischen und medialen Verzerrungen in den Mainstream-Narrativen mit einer einseitigen, radikalen und moralisierenden Gegenposition zu reagieren.
Das ist mehr oder weniger der Kontext, in dem linke Befürworter*innen der „Achse des Widerstands” die Aggression Israels als rechtfertigenden Grund für ihre eigene politische Haltung anführen, nämlich die Legitimation der geopolitischen Strategien des Iran. Die aktuelle polarisierte und aufgeheizte Atmosphäre macht einen solchen staatsorientierten Diskurs, der zur „nationalen Einheit” gegen einen „ausländischen Feind” aufruft (und den Kampf gegen das Regime vorübergehend aussetzt), attraktiver – auch aufgrund des vorhandenen Bewusstseins über die katastrophalen Folgen imperialistischer Militärinterventionen im Irak, in Afghanistan, Libyen, Syrien, Sudan und darüber hinaus. Es gibt Anzeichen dafür, dass einige Teile der iranischen Linken zunehmend in diese Richtung tendieren.
Auf der anderen Seite vertreten Teile der iranischen sozialdemokratischen Opposition (ähnlich wie bestimmte liberale Oppositionsgruppen) eine menschenrechtsbasierte Anti-Kriegshaltung. Sie kritisieren die israelische Invasion mit unterschiedlicher Schärfe und setzen auf internationalen diplomatischen Druck, um einen Waffenstillstand und die nukleare Abrüstung zu erreichen.
Die israelische Invasion hat die Fraktionskonflikte innerhalb der linken Opposition im Iran also verschärft und dadurch einen wirksamen linken Aktivismus und Mobilisierungen für eine anti-imperialistische, anti-autoritäre und gegen den Krieg gerichtete Solidarität geschwächt. Dadurch scheint es, als wäre selbst dieses schreckliche Ereignis nicht in der Lage, die Rolle der revolutionären Linken im Iran bei der Förderung kollektiver, progressiver Handlungsmöglichkeiten entscheidend zu stärken – auch wenn die Dynamik der aktuellen Entwicklungen theoretisch innerhalb von einem Tag völlig neue Möglichkeiten eröffnen kann. [۱۱]
IV. Intellektuelle Herausforderungen beim Wiederaufbau des Internationalismus im Zusammenhang mit dem Nahen Osten
Selbst wenn die Flammen des aktuellen Krieges, der durch die militärische Invasion Israels entfacht wurde, bald erlöschen, bleiben seine Auswirkungen auf die Zukunft des Nahen Ostens zutiefst gefährlich. Zum einen normalisiert dieser Konflikt, unabhängig von seinen unmittelbaren Folgen, Krieg und die Aussetzung/Missachtung internationaler Normen, wie beispielsweise militärische Angriffe auf Nuklearanlagen. Betrachtet man ihn gemeinsam mit dem anhaltenden Krieg und Genozid in Gaza, offenbart er ein beispielloses Ausmaß an Entmenschlichung, das den weltweiten Aufstieg des Neofaschismus widerspiegelt. Dieser Kurs bereitet unweigerlich den Boden für schreckliche Spannungen in der Zukunft, vor allem durch die Beschleunigung der Entwicklung der Region hin zum Militarismus und damit zum Autoritarismus.
Zum anderen schaffen die direkten Auswirkungen dieses Krieges, darunter die Unterdrückung progressiver Kräfte, Bewegungen und Proteste im Iran, ein politisches Vakuum. Dieses Vakuum birgt die Gefahr, dass entweder reaktionäre Alternativen an Einfluss gewinnen und durchgesetzt werden können, wie eine imperialistische Umstrukturierung der politischen Macht von oben nach unten. Oder dass sich bestehende soziopolitische Brüche aufgrund zunehmender sozialer Krisen und weit verbreiteter Unsicherheit verschärfen. Solche Bedingungen bergen die Gefahr, dass Konflikte zwischen unterdrückten Bevölkerungsgruppen entstehen, in dem sie sie vom gemeinsamen Kampf gegen die Grundlagen der bestehenden Ordnung ablenken, bis hin zur Gefahr des Bürgerkriegs und sozialen Zusammenbruchs.
Der Krieg hat aber auch negative Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung der Subjektivität der unterdrückten Menschen im Iran und im Nahen Osten. Dies geschieht indem,
• unterdrückte Teile der Bevölkerung aufgrund erhöhter wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit, politischer Repression und Sicherheitsmaßnahmen in die politische Passivität getrieben werden;
• Nationalismus und Diskurse über nationale Überlegenheit und Größe angeheizt werden, wodurch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zunehmen, indem weit verbreitete Ängste und Gefühle der Unterlegenheit und Ohnmacht verstärkt werden;
• Förderung des islamischen Fundamentalismus, in dem der Konflikt zwischen Israel und Iran als Konflikt zwischen Islam und Judentum dargestellt wird;
• Verstärkung des Antisemitismus: Da Israel seine aggressive und unmenschliche Politik unter dem Deckmantel der Vertretung des „Weltjudentums“ vorantreibt und mit bedingungsloser Unterstützung der Weltmächte jenseits aller Normen und Abschreckungsmaßnahmen handelt, verbindet sich die notwendige Kritik an dieser Politik teilweise mit einem Hass auf Juden und Jüdinnen. Da das unmenschliche Vorgehen des israelischen Staates jenseits von internationaler Kontrolle, Rechenschaftspflicht und Strafe geschieht, ist die damit verbundene Ungerechtigkeit für viele Menschen unfassbar. Dies verstärkt wiederum ein bestehendes konspiratives Narrativ über die globale Macht der Juden und Jüdinnen, was im Wesentlichen antisemitisch ist.
Letztendlich schwächt Israels Invasion im Iran grundlegend die Prozesse der Bildung von Klassenbewusstsein bzw. antikapitalistischem Bewusstsein und Handeln.
Da sich die vorliegende Analyse in erster Linie an Genossinnen und Genossen im Nahen Osten richtet, werden wir nun die jüngsten Entwicklungen in den linken Debatten und Praxen in Bezug auf politische Interventionen in der Region untersuchen. Unser Ziel ist es, interne Herausforderungen innerhalb der Linken im Nahen Osten aufzuzeigen, die die Entwicklung einer alternativen internationalistischen Strategie behindern. Durch die kritische Analyse eines vorherrschenden Ansatzes۳ argumentieren wir, dass diese dominante Perspektive innerhalb der Linken die politischen Kräfte der Linken in der Region fragmentiert und geschwächt und damit jeglichen Fortschritt behindert hat. Um Klarheit zu schaffen, skizzieren wir zunächst unsere eigene Perspektive, die wir als „Dritten Weg“ bezeichnen.
۱) Theoretische Herausforderungen
Aus unserer Sicht sind die jüngsten Konflikte und die politische Polarisierung innerhalb der Linken im Iran und der breiteren Linken im Nahen Osten [۱۲] weitgehend auf konzeptionelle Unklarheiten in folgenden Bereichen zurückzuführen:
۱. Der Verflechtung des autokratischen nationalen Kapitalismus mit den globalen kapitalistischen Verhältnissen.
۲. Der Natur und Funktion imperialistischer Beziehungen innerhalb des zeitgenössischen Kapitalismus im Nahen Osten.
Hinzu kommen folgende Herausforderungen für eine linke internationalistische Bewegung:
۳. Autoritäre und ausbeuterische Beziehungen zu bekämpfen und sich gleichzeitig der imperialistischen Vorherrschaft entgegenzustellen;
۴. Wege zu finden, um den Verbrechen und Gefahren des kolonial-zionistischen Expansionismus wirksam zu begegnen.
Auf einer konkreten und historischen Ebene spiegeln die weit verbreiteten Meinungsverschiedenheiten und Polarisierungen innerhalb der Linken im Nahen Osten die strukturellen Widersprüche der globalen Ordnung wider.
In der heutigen Welt erfordert die Reproduktion der Kapitalakkumulation – der Hauptantriebskraft des herrschenden Systems – sowohl die Unterdrückung der Massen, um deren Subjektivität einzuschränken, als auch das Anheizen militarisierter Akkumulationszyklen. Dieser Prozess erfordert die Reproduktion imperialistischer Machtstrukturen und -mechanismen auf regionaler und nationaler Ebene, vor allem durch die Konsolidierung autokratischer Mächte, die sich auf Militarismus und Despotismus stützen. Gleichzeitig zeigen sich die unvermeidlichen Interessenkonflikte zwischen den imperialistischen Zentren durch Risse/Brüche in den Bündnissen zwischen den kapitalistischen Kernstaaten oder in Form von regionalen Stellvertreterkriegen. Letzte werden von konkreten historischen und geopolitischen Faktoren [۱۳] beeinflusst, darunter nationale, religiöse und politische Spaltungen. Die Ausdrucksformen dieser nationalistischen, religiösen und politischen Spaltungen werden durch die Machtmechanismen imperialistischer Verhältnisse geprägt, die ihrerseits der Fluidität und Dynamik der Interessen zwischen den kapitalistischen Kernzentren unterliegen.
In einer derart komplexen Situation betonen die hier kritisierten linke Diskurse oft die Konflikte zwischen nationalen Akteuren oder regionale Krisen, anstatt die systemische Ordnung, die diese Konflikte prägt und letztlich von ihnen profitiert. Mit anderen Worten: Oberflächliche Phänomene verbergen die zugrunde liegenden Ursachen. Dies gilt unmittelbar für die Rolle sowohl des israelischen als auch des iranischen Staates und ihre anhaltenden Konflikte bei der Gestaltung der gegenwärtigen Ordnung im Nahen Osten. Daher besteht unsere schwierige politische und intellektuelle Aufgabe darin, den gemeinsamen imperialistischen Kern der scheinbar widersprüchlichen Funktionen der beiden Staaten zu identifizieren. Denn die offensichtlichen Formen dieser Konflikte verschleiern die wesentliche Verwandtschaft der politischen Systeme, die sie verwalten [۱۴]. Seit etwa einem halben Jahrhundert stützt sich der Vormarsch der militärisch-industriellen Maschinerie im Nahen Osten weitgehend auf zwei Hauptmotoren: auf das israelische Regime, das auf der zionistischen Ideologie basiert und auf das islamische Regime, das in einer verdrehten Interpretation des politischen Islam oder des schiitischen Fundamentalismus verwurzelt ist. Obwohl diese Staaten ihre Vorgehensweisen mit unterschiedlichen Ideologien rechtfertigen und sich in den letzten vier Jahrzehnten zunehmend gegenüberstanden, erklären weder ihre ideologischen Grundlagen noch ihre Konflikte allein ihre historische Natur oder den jüngsten Krieg. [۱۵]
Viele linke Strömungen im Nahen Osten betonen verständlicherweise die ungebremste Aggression und Unterdrückung durch Israel, den Zionismus sowie die ungelöste Palästinenserfrage. Der Gaza-Krieg und die israelische Invasion im Iran bestätigen diese Besorgnis zweifellos. Ein politisches Problem entsteht jedoch, wenn wir versuchen, von dieser berechtigten Besorgnis zu einer umfassenden anti-imperialistischen, revolutionären Strategie für den Nahen Osten überzugehen. Wenn diese Strategie mehr sein soll als bloßer Ausdruck einer moralischen Empörung – die in linken Ansätzen oft vorherrscht – müssen wir aufzeigen, wie der palästinensische Kampf tief und materiell mit den gemeinsamen Kämpfen aller Bevölkerungen des Nahen Ostens verbunden ist. Wir müssen also erklären, wie die Mechanismen, die das Leiden der Palästinenser*innen historisch verursacht und aufrechterhalten haben, in der Region und weltweit funktionieren und miteinander verflochten sind.
۲) Der inklusive Solidaritätsansatz bzw. der Ansatz des „Dritten Wegs“
Hier ist ein Paradigmenwechsel notwendig: weg von der Besonderheit der spezifischen Unterdrückung durch den israelischen Staat hin zur Universalität imperialistischer Verhältnisse, die von Ungerechtigkeit und Leid geprägt und weit verbreitet sind. Um dies zu erreichen, ist ein inklusiver Solidaritätsansatz unerlässlich – und kein partikularistischer. [۱۶] Diese Perspektive geht davon aus, dass die Unterscheidung zwischen Theorie und Strategie nicht negiert, dass die Stärke oder Schwäche einer Strategie letztlich von ihrer theoretischen Grundlage abhängt. Damit die Menschen im Iran und im Nahen Ostens ihre Solidarität mit den Palästinenser*innen wirklich zum Ausdruck bringen können, reicht es nicht aus, Israel einfach als gemeinsamen Feind zu identifizieren. Stattdessen müssen wir einräumen, dass alle Staaten der Region Beziehungen zu Israel unterhalten und von diesen abhängig sind. Sie machen sich so mitschuldig an der grauenhaften Realität im heutigen Nahen Osten – wenn auch alle auf ihre Weise und in unterschiedlichem Maße.
Nach unserem Verständnis setzt der „Dritte Weg“ – entgegen oberflächlicher oder verzerrter Interpretationen – die destruktive Rolle der Staaten des Nahen Ostens bei der Aufrechterhaltung dieser „Hölle” nicht gleich. Auch stützt er sich nicht auf vergleichende Hierarchien des Bösen. Sein vorrangiges Ziel ist es, die gemeinsamen Wurzeln des Bösen und der Ungerechtigkeit sowie die miteinander verflochtenen Mechanismen ihrer Reproduktion in der gesamten Region aufzudecken und damit die strategische Notwendigkeit und Möglichkeit gemeinsamer Kämpfe zu betonen. Während beispielsweise der koloniale israelische Staat, unterstützt von westlichen imperialistischen Mächten, ungestraft Militarismus und Zerstörung im Nahen Osten gefördert und damit immense Tragödien verursacht hat, hat die IR als sub-imperialistische Macht und reaktionärer regionaler Akteur mit vergleichbaren Mitteln und Herangehensweisen agiert, wenn auch manchmal in anderen Bereichen und in unterschiedlichem Ausmaß. Der entscheidende Punkt ist, dass diese beiden Staaten nicht nur ihre Rollen und Funktionen (für globale Ordnung) konsequent im gegenseitigen Konflikt gestärkt haben, sondern dass ihr Fortbestehen grundlegend voneinander abhängt.
Wer diese Tatsache ignoriert, öffnet unweigerlich Raum für staatszentrierte oder „lagerorientierte” Interpretationen des Antiimperialismus (z. B. die Bevorzugung des geostrategischen Ansatzes des Iran gegenüber dem Israels) und/oder zu nationalistischen oder religiösen Rechtfertigungen – unabhängig davon, wie sehr dabei betont wird, dass „unsere Feindseligkeit gegenüber der Islamischen Republik [oder Israel] keiner Beweise bedarf. [۱۷]”
Eine unserer strategischen Aufgaben, die darauf abzielt, die Sackgasse der antikapitalistischen und antiimperialistischen Kämpfe im Nahen Osten zu überwinden, besteht darin, das katastrophale Monopol der IR und ihrer Verbündeten auf antiimperialistische und antizionistische Narrative im Nahen Osten zu beenden [۱۸]. Das immense und ungebremste Ausmaß der israelischen Verbrechen kann für sich genommen nicht die Bedeutung und die Perspektiven der internationalistischen Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand definieren oder rechtfertigen, wenn es von den umfassenderen Erfahrungen der Unterdrückung in der gesamten Region getrennt wird. Eine Solidaritätsbewegung, die diese Erfahrungen voneinander trennt, ist in der Praxis tendenziell ausgrenzend und damit autoritär und fragil, da sie lediglich von moralischer Empörung genährt wird. Der innere Widerspruch dieses Ansatzes der Palästina-Solidarität zeigt sich darin, dass er die Rolle der Hamas und die des iranischen Regimes bei der Degeneration des palästinensischen Widerstands verschweigt oder ignoriert.
Der inklusive Ansatz sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, „moralische Reinheit zu wählen“, „zwischen zwei Stühlen zu sitzen“, „die Handlungsfähigkeit Israels mit der der Hamas gleichzusetzen“, Israels militärische Aggression zu „relativieren“ oder „herabzuwürdigen“, „die eigenen politischen und subjektiven Erfahrungen über die Handlungsfähigkeit der Palästinenser*innen zu stellen“ und sogar „von Islamophobie beeinflusst zu sein“ [۱۹]. Es bleibt jedoch unklar, welchen strategischen Vorteil ein partikularistischer Ansatz für die Förderung revolutionärer Kämpfe im Nahen Osten und des palästinensischen Widerstands hat, da er die Abstraktion und Loslösung von Unterdrückung aus ihrem breiteren Kontext fördert. Während die hier vertretene Position des Dritten Wegs viele Kernanliegen des partikularistischen Ansatzes beinhaltet – wie die Verteidigung der palästinensischen Sache, die Hervorhebung der Ungleichheit der zionistischen Vorherrschaft, die Verurteilung des Genozids Israels in Gaza, die Ablehnung imperialistischer Kriege und die Verurteilung des Aggressorstaates –, bestehen partikularistische Genoss*innen jedoch auf einer einseitigen „absoluten und bedingungslosen“ Verurteilung der israelischen Invasion. [۲۰] Sie behaupten, dass diese sonst moralisch nicht aufrichtig und strategisch nicht wirksam wäre.
Die geopolitischen Strategien und Politiken des Iran zu erwähnen und zu verurteilen, ist keine „Bedingung” für die Verurteilung und Ablehnung der militärischen Invasion Israels. Sie unterstreicht vielmehr die Verflechtung von Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen im Nahen Osten und die Notwendigkeit einer unabhängigen Haltung in Zeiten von Krieg und Krise. Es stellt sich die Frage, was der partikularistische Solidaritätsansatz mit seiner vehementen Betonung der Trennung erreichen will. Er zielt implizit oder explizit darauf ab, die Auseinandersetzung mit dem iranischen Regime aufzuschieben, um sich auf einen vermeintlich wichtigeren Akteur oder dringlichere Angelegenheiten zu konzentrieren. Folglich würde dieser Ansatz zwangsläufig den Kampf gegen die Mechanismen der Ungerechtigkeit und Unterdrückung durch die IR aussetzen, die sich in Kriegszeiten zweifellos verschärfen werden. Die Rechtfertigung für diese Trennung und Fokussierung verweist oft auf die Dringlichkeit oder Schwere der aktuellen Kriegssituation in Gaza und im Iran. Der partikularistische Ansatz erklärt jedoch weder, wie diese Trennung ausreichende Kräfte für eine sofortige Beendigung des Krieges und der Gräueltaten mobilisieren kann, noch erklärt er, warum eine solche Fähigkeit durch den inklusiven Ansatz behindert würde, der auf die Verknüpfung von Kämpfen in der gesamten Region abzielt und diese fördert.
Einige Vertreter*innen des Partikularismus führen das Risiko eines „Bürgerkriegs“ oder sozialen Zusammenbruchs im Iran als Grund dafür an, den Kampf gegen das iranische Regime während des Krieges aufzuschieben und sich stattdessen auf den Kampf gegen zionistische und imperialistische Aggression zu konzentrieren. Ein solch düsteres Szenario ist zwar nicht ausgeschlossen. Dieses Argument impliziert aber, dass die Bereitschaft der israelischen und iranischen Machthaber oder der Weltmächte einen Bürgerkrieg im Iran oder dessen Verwandlung in ein „verbranntes Land“ zu verhindern, dann größer sei, wenn die iranischen Behörden während des Krieges keinem massiven Druck der Opposition ausgesetzt sind oder wenn sich internationale Proteste ausschließlich auf Israel konzentrieren [۲۱].
Tatsächlich beruht der von uns kritisch beschriebene partikularistische Solidaritätsansatz – entgegen seinen eigenen Behauptungen – nicht darauf, strategische Überlegungen gegenüber theoretischen Bedenken zu priorisieren. Er ist vielmehr in erster Linie von der Notwendigkeit getrieben, auf systematische und weit verbreitete Verzerrungen durch westliche Staaten, Mainstream-Strömungen und Medien zu reagieren. Seine „strategische Hoffnung” basiert somit auf der Legitimität der moralischen Warnungen, die er ausspricht. Um politisch wirksam zu sein, muss ein solcher Ansatz in permanenter Opposition zu Mainstream-Diskursen stehen und sich so positionieren, dass er jegliche Überschneidungen mit dominanten Narrativen vermeidet. Da jedoch gewisse Überschneidungen zwischen gegensätzlichen Positionen epistemologisch unvermeidbar sind, erfordert diese Strategie oft eine kontinuierliche Verschiebung der eigenen Position hin zur völligen Negation der Positionen der Gegner. Dadurch degradiert die eigene Position zu einer bloßen Reaktion und Gegenposition. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie diese Überschneidungen zu interpretieren sind – nicht als taktische Leugnung oder moralisches Schweigen, sondern als fester Bestandteil des Interpretationsprozesses.
Schließlich kann das Argument, dass die breite Opposition gegen die NATO-Invasion im Irak 2003 allein durch die Überwindung ideologischer und politischer Differenzen erfolgreich war, eine solche Einheit für die aktuellen antikriegs- und antikapitalistischen Kämpfe nicht rechtfertigen. Denn:
۱. Das Ignorieren der strategischen Grundlagen bestimmter ideologischer Konflikte zur damaligen Zeit oder deren pragmatische Umgehung führte historisch gesehen über Jahrzehnte hinweg zur Entstehung pseudo-antiimperialistischer linker Strömungen.
۲. Dieser Art der Annäherung fehlte eine tief verwurzelte Grundlage in den tatsächlichen Lebenserfahrungen der unterdrückten Bevölkerungen. Folglich gelang es ihr trotz ihrer inspirierenden Aspekte nicht, eine nachhaltige, organisierte und strategische Tradition zu etablieren, die in der Lage gewesen wäre, den nachfolgenden Vorstößen der imperialistischen Militärmaschinerie entgegenzutreten.
Wir sind uns bewusst, dass die unterdrückten Menschen im Iran und im Nahen Osten und deren zukünftige Generationen nach der Invasion des Iran durch Israel einer äußerst kritischen und gefährlichen Situation gegenüberstehen. Letztendlich müssen wir jedoch akzeptieren, dass es in diesem tragischen historischen Moment keinen einfachen oder schnellen Weg gibt. Es ist unmöglich, materielle Früchte zu ernten, die wir oder unsere Vorfahren nicht gesät oder ausreichend gepflegt hätten. Wenn in der gegenwärtigen, von Krieg und Krisen geprägten Situation das Engagement gegen das zunehmende Leiden der unterdrückten Bevölkerungen und deren Ausweitung in Zukunft ein gewisses Maß an Pragmatismus und Distanz zu fernen politischen Idealen erfordert, muss dieser Pragmatismus die kollektive Zusammenarbeit und Initiativen zum Schutz des Lebens selbst fördern und dadurch die kollektive und kritische Subjektivität der Unterdrückten stärken. Das heißt, wir müssen Strategien und Initiativen entwickeln, die es unterdrückten Menschen ermöglichen, ihr Leben gegen die menschenverachtenden und lebensfeindlichen Kräfte und Mechanismen zu verteidigen und gleichzeitig die Ideen und materiellen Grundlagen für eine „Organisation von unten” zu fördern.
Anmerkungen
- Wir sind uns bewusst, dass der Begriff „راه سوم” (Der Dritte Weg) aufgrund seiner vielfältigen thematischen Bezüge und widersprüchlichen Hintergründe innerhalb der linken Bewegung und der damit verbundenen politischen Literatur mehrdeutig ist. Wir hoffen, dass dieser Text die Notwendigkeit und die historischen Gründe für seine Verwendung verdeutlicht. ↩︎
- Einige aktuelle Berichte deuten darauf hin, dass die „sensiblen Dokumente und Beweise über Israels nukleare und militärische Einrichtungen“ gefälscht waren und dass die Bereitstellung dieser Dokumente für die iranische Regierung Teil eines Sicherheitsplans der israelischen Regierung war. ↩︎
- Während der Vorbereitung dieses Artikels haben die eskalierenden militärischen Angriffe Israels die Sicherheitslage und den Druck auf Justiz und Sicherheit im Iran verschärft. In dieser erhöhten Kriegsspannung hat die Regierung eine Sicherheitskampagne zur Unterdrückung der Opposition gestartet, in der sie eine Rhetorik wie „Verrat am Vaterland“, „Kollaboration mit feindlichen Kräften“ und „Kollaboration mit dem Mossad“ verbreitet und mehrere Personen unter solchen Vorwürfen hingerichtet hat. Gleichzeitig versucht die Regierung, unter Berufung auf die „Notwendigkeit der nationalen Einheit” angesichts einer externen Invasion die zunehmende Kriminalisierung, Verfolgung und Unterdrückung von Dissidenten zu legitimieren. ↩︎
- Friedrich Merz: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel für uns alle erledigt.”. ↩︎
- Um das Ausmaß dieser schrecklichen direkten Auswirkungen zu begreifen, genügt es, darauf hinzuweisen, dass Israel entgegen allen internationalen Normen iranische Nuklearanlagen bombardiert, wodurch weite Gebiete und große Bevölkerungsgruppen radioaktiver Strahlung und chemischer Kontamination ausgesetzt werden könnten. ↩︎
- Viele prominente monarchistische Theoretiker*innen und Befürworter*innen waren früher mit Reformisten in der Regierung verbunden. Einige verfügen über einen Sicherheits- und Militärhintergrund im Iran und es gibt Hinweise auf enge Verbindungen zwischen Teilen des iranischen Militär- und Sicherheitsapparats und monarchistischen Fraktionen. ↩︎
- Das Aufkommen und die relativ weite Verbreitung von Slogans wie „نه غزه، نه لبنان، جانم فدای ایران“ (Nicht Gaza, Nicht Libanon, mein Leben für den Iran) sollten als Indikatoren und Produkte dieses Kontextes gesehen werden. ↩︎
- Trotzdem hat der Sicherheits- und Justizapparat der Islamischen Republik im Laufe der Jahre vor allem Linke ins Visier genommen, darunter unabhängige Arbeitsaktivist*innen und Aktivist*innen progressiver sozialer Bewegungen, und nicht Monarchist*innen. Dies entspricht dem Unterdrückungsapparat des Schah-Regimes, der SAVAK, die es Islamisten ermöglichte, in kulturellen, sozialen und politischen Bereichen zu agieren, während sie selbst die geringsten Anzeichen linker Aktivitäten und Bewegungen hart unterdrückte. ↩︎
- Innerhalb der rechten Opposition im Iran haben sich Narrative deutlich verstärkt, die eine Invasion Israels als Mittel zur Schwächung der iranischen Regierung begrüßen, was möglicherweise zu ihrem Sturz oder sogar zu ihrer „Erlösung” führen könnte. Diese Ansichten werden in westlichen und israelischen Medien weit verbreitet und oft als selbstverständlich dargestellt. ↩︎
- Ein kleinerer Teil der iranischen rechten Opposition hat eine ähnliche Haltung eingenommen, allerdings aus nationalistischer Perspektive. ↩︎
- Mit der zunehmenden Zerstörung und den Massakern durch die israelische Invasion im Iran gibt es beispielsweise Anzeichen dafür, dass einige desillusionierte Massen, die unter dem Einfluss hegemonialer Diskurse Hoffnungen auf eine ausländische Militärintervention zur „Befreiung des Iran“ gesetzt hatten, nun das ganze Ausmaß dieser Illusion erkennen. ↩︎
- Die bestehenden ideologischen und politischen Polarisierungen in der iranischen Öffentlichkeit drehen sich hauptsächlich um folgende strittige Fragen: die Natur der iranischen und israelischen Regierungen und ihre Beziehung zueinander; die Natur des Despotismus und der globalen (oder imperialistischen) Ordnung; sowie den Weg und das Wesen eines befreienden politischen Projekts. Innerhalb des rechten ideologischen und politischen Spektrums im Iran manifestieren sich diese Polarisierungen typischerweise in Debatten über Nationalismus und den Prozess der politischen Transition weg von der Islamischen Republik, wobei gleichzeitig die politische Kluft zwischen rechten und linken Diskursen und Ansätzen reproduziert wird. ↩︎
- Diese konkreten historischen Merkmale sind in erster Linie auf das Erbe der nationalen und regionalen Geschichte der Kolonialisierung und des Imperialismus sowie auf den Entstehungsprozess moderner Nationalstaaten zurückzuführen, die gewaltsam in das globale kapitalistische System eingegliedert wurden. Viele Länder des Globalen Südens tragen noch immer soziopolitische Spaltungen in sich, die in dieser Geschichte der Unterdrückung begründet sind. ↩︎
- In gängigen Darstellungen wird die iranische Regierung als autoritäres, reaktionäres und repressives Regime dargestellt, Israel als kolonialistischer Apartheidstaat. Das gemeinsame systemische Element, das es beiden Staaten ermöglicht, diese unmenschlichen Züge zu zeigen, ist jedoch der Militarismus (im weitesten Sinne). ↩︎
- Genauer gesagt hat eine gewisse Parallele zwischen zwei historischen Konfrontationen diese Polarisierungen innerhalb des Iran und des Nahen Ostens vorbestimmt: 1) Die ideologische und strategische Doktrin der Islamischen Republik, die sich auf die Opposition gegen den globalen Imperialismus, die westliche Demokratie, den Säkularismus und den zionistischen Staat stützt, hat sie angesichts ihrer volksfeindlichen Bilanz und ihrer politischen Sackgasse für die Narrative, Behauptungen und Diskurse der gegnerischen Staaten attraktiv gemacht. 2) Die Fortsetzung katastrophaler imperialistischer Interventionen und Kriege im Nahen Osten, verbunden mit dem aggressiven Vorstoß Israels, der von den westlichen Mächten voll unterstützt wird, hat indirekt zu der Wahrnehmung beigetragen, dass sich der Iran vom globalen Herrschaftssystem gelöst hat und antiimperialistische Ansprüche geltend macht. Daneben haben die politische Unterdrückung und die Militarisierung der Gesellschaft unter der Islamischen Republik die Bildung von Vereinigungen, Konfrontationen und die Entwicklung politischer Perspektiven kontinuierlich blockiert und damit das Engagement der Linken in der Gesellschaft und untereinander insgesamt behindert. ↩︎
- Die in der jüngsten linken Politik vorherrschende Tendenz, Partikularismus zu priorisieren, der in der Anerkennung von Unterschieden begründet ist, ist eine Folge des weit verbreiteten poststrukturalistischen Einflusses. Die Anerkennung von Unterschieden ist zwar notwendig und gerechtfertigt, sollte jedoch nicht unter Ignorierung der Gesamtheit der sozialen Realität oder im Widerspruch zur marxistischen Erkenntnistheorie erfolgen. ↩︎
- Siehe den Aufsatz von I. Ganji. (Sechs dringende Punkte zum Krieg gegen den Iran, Akhabar Rooz, 28. Khordad 1404.) ↩︎
- Gruppe Roja (Paris): „Frauen, Leben, Freiheit“ gegen den Krieg – Eine Erklärung gegen die genozidale Politik Israels und die repressive Islamische Republik – Radio Zamaneh, 30. Khordad 1404. ↩︎
- Solche Anschuldigungen gehen oft mit Verzerrungen und/oder Karikaturen der Argumentation der Gegner*innen einher. ↩︎
- Der Diskurs, der eine „absolute und bedingungslose Verurteilung Israels” als Aggressor oder Kriegsinitiator rechtfertigt – und dabei Perspektiven ablehnt, die auf den historischen Kontext dieser Eskalation verweisen, wie beispielsweise die Kriegstreiberei des Iran –, steht im Widerspruch zu der Logik, die zuvor von ähnlichen Tendenzen verwendet wurde. Diese Tendenzen betonten (zu Recht) die historischen Hintergründe der Operation der Hamas vom 7. Oktober gegen die israelische und westliche Propaganda, doch der aktuelle Diskurs der absoluten Verurteilung neigt dazu, diese Hintergründe zu ignorieren. ↩︎
- Insgesamt hat die Islamische Republik Iran mit ihrem unerbittlichen und rasenden Militarismus, ihrer kleinlichen imperialistischen Politik und ihren repressiven Sicherheitsmaßnahmen einen Weg in den unvermeidlichen politischen Zusammenbruch eingeschlagen, der den Zerfall des gesamten sozialen Gefüges bedroht: eine Form der „Verbrannten Erde”-Politik. Umgekehrt haben Israel und seine globalen Unterstützer wiederholt – unter anderem während des 20-monatigen Krieges und Völkermordes in Gaza und zuvor im Irak, in Libyen, Afghanistan, Sudan und Syrien – gezeigt, dass die Politik der „verbrannten Erde“ genau ihren Interessen und dem „globalen Kriegsregime“ dient. ↩︎
Fußnoten
- Es ist klar, dass der Teil der politischen Kräfte im Nahen Osten, der sich der unmenschlichen Logik der Staaten verschrieben hat und Krieg und Gemetzel als Weg zu Verbesserung und Erlösung betrachtet, nicht unser Publikum ist.
↩︎ - Was die Debatten unter iranischen Linken (persischsprachige Medien) betrifft, so wird eine komprimierte Version dieses Ansatzes durch den Essay von I. Ganji veranschaulicht. „Sechs dringende Punkte zum Krieg gegen den Iran“ (Akhabar Rooz, 28. Khordad 1404). Da – aus unserer Sicht – der Inhalt von Ganji’s Essay einen relativ breiten Ansatz innerhalb der Linken darstellt, den wir in diesem Beitrag kritisieren möchten, setzt sich der letzte Teil von Abschnitt IV kritisch mit Ganji’s Essay auseinander.
↩︎ - Dieser Ansatz ist beispielsweise im Essay von I. Ganji veranschaulicht.
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